80 Jahre Kriegsende – 80 Jahre Frieden

Auseinandersetzung mit Geschichte und Gegenwart am BSG

Clemens Pongratz (v. 2. v. l.) und Anna Rosmus (rechts daneben) berichteten über das Kriegsende in Kötzting und in der Region.

Erinnern ist niemals Selbstzweck. Es schafft Bewusstsein für die Zerbrechlichkeit eines oft als selbstverständlich hingenommenen Zustands. Genau deshalb war es dem BSG, der Stadt Bad Kötzting und der Katholischen Erwachsenenbildung so wichtig, die Ereignisse des Frühjahrs 1945 in die Gegenwart der Schüler und der breiten Öffentlichkeit zu rufen. An zwei aufeinanderfolgenden Tagen rückten mittels Filmvorführung, Vorträgen und Ausstellung die dramatischen Wochen um den 8. Mai 1945 in den Fokus.  

Den Auftakt bildete die Filmvorführung für die Jahrgangsstufen 9 bis 12 in der Aula. Gezeigt wurde die erste Folge der vielfach prämierten ZDF-Serie „Tannbach – Schicksal eines Dorfes“. Die fiktive Geschichte orientiert sich an wahren Begebenheiten und schildert das Leben in einem Dorf an der (späteren) innerdeutschen Grenze. Die Fachschaft Geschichte entschied sich für diese Serie, weil sie eben nicht die großen politischen Zusammenhänge analysiert oder das Schicksal der Großstadt Berlin in den letzten Kriegstagen zeigt, sondern das Kleine und damit das Individuum in den Mittelpunkt stellt. Auch die regionale Gebundenheit der Serie bereitete auf die Vortragsveranstaltung über das „Kriegsende im Kötztinger Land“ am Folgetag vor. Im Film ist der Ort Tannbach zerrissen, so wie die Menschen in ihm. Es gibt Anhänger des NS-Regimes, die nicht von ihrer Überzeugung lassen können und nicht begreifen, was eigentlich geschieht, als die Rote Armee und die US-Streitkräfte auftauchen. Sie kämpfen und begehen Verbrechen bis zum Schluss. Dann gibt es auch jene, die mit grundlegenden Ängsten, aber auch Hoffnungen auf einen Neuanfang für Identifikationspotential bei den Schülern sorgten. Für die Schüler war dies ein eindrucksvoller Einstieg in die Auseinandersetzung mit Geschichte vor der eigenen Haustür. Es lohnt sich auf jeden Fall, die sechsteilige Serie „Tannbach“ zu streamen. Die Handlung erstreckt sich vom Kriegsende bis zum Prager Frühling im Jahr 1968 und erzählt von der Teilung Deutschlands, die im Kleinen in Tannbach kulminiert, da durch das Dorf die Grenze zwischen Ost und West gezogen wird.

Am 8. Mai selbst fanden die Gedenkvorträge statt. Schulleiterin Birgit Maier und Bürgermeister Markus Hofmann betonten in ihren Grußworten die Bedeutung von Erinnerungskultur. Der Friede sei ein zerbrechliches Gut und das „Nie wieder“ stehe außer Frage. Deshalb müsse Tag für Tag durch Haltung und Bildung darum gerungen werden. OStDin Maier blickte auch auf die Entstehung der Veranstaltungsidee zurück: Aus einem spontanen Gedanken bei der letztjährigen „Blauen Nacht“ wurde in Zusammenarbeit mit Stadtarchivar Clemens Pongratz ein „Abend der politischen Bildung“, der dem Kriegsende im Kötztinger Raum gewidmet werden sollte.

Zwei Persönlichkeiten haben sich dem Thema „Kriegsende in Kötzting“ insbesondere verschrieben: Stadtarchivar Clemens Pongratz und Buchautorin Anna Rosmus, die sich seit Jahrzehnten mit der NS-Vergangenheit im ostbayerischen Raum auseinandersetzt. Als Schülerin begann sie, in der NS-Vergangenheit von u. a. Politikern in ihrer Heimatstadt Passau zu stochern, wobei sie auf Widerstände stieß. Seit den 1990er Jahren lebt Rosmus in den USA.

Pongratz und Rosmus zeigten in einer Bildershow vielfältiges Quellenmaterial, das nur ahnen lässt, welch mühevolle Archivarbeit die beiden Forschenden investiert haben. Pongratz ließ mit lokalhistorischen Bezügen die Geschehnisse rund um das Kriegsende und beim Neuanfang wie in einem Kaleidoskop aufleben. Kötzting war bereits Monate vor dem Kriegsende Anlaufpunkt unzähliger Flüchtlinge, Zwangsarbeiter und Evakuierter. Im Jahr 1945 machten die „displaced persons“ rund 40 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Die Versorgungslage war prekär und die Situation mehr als angespannt. Anhand von Einzelschicksalen wie das des Dorfschmieds Wolfgang Stöger, der noch kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner von der SS ermordet wurde, machte Pongratz das Grauen jener Tage deutlich. Im zweiten Teil seines Vortrags stellte er jedoch auch dar, wie sich das Leben langsam wieder einspielte, sogar der Pfingstritt stattfinden konnte und andere kulturelle Highlights wie etwa ein Seifenkistenrennen für Ablenkung von den Entbehrungen und Problemen der Nachkriegszeit sorgten.

Anna Rosmus stellte unter anderem das Schicksal der Lipizzaner-Herde, die 1945 aus dem Gestüt Hostau in Böhmen übergangsweise nach Kötzting gebracht wurde, dar. Insbesondere interessant ist die Nebenepisode, da ausgerechnet auf einem weißen Lipizzanerhengst Pfingstbräutigam Franz Oexler nur zwei Wochen nach Kriegsende auf dem Pfingstritt reiten konnte. Die Präsentation Rosmus spannte einen weiten Bogen von militärischen Bewegungen, letzten Gefechten über die Kapitulation der deutschen Kampfeinheiten, dem Umgang der Siegermächte mit den Kriegsgefangenen bis hin zu Absprachen der Alliierten. Rosmus machte dem Publikum viele historische Fragmente zugänglich, die Anlass zum Nachdenken boten.

Begleitet wurden die Vorträge von einer kleinen Ausstellung. Plakate informierten, ein Karteikasten aus dem Stadtarchiv Bad Kötzting dokumentierte die Ankunft tausender Flüchtlinge. Persönliche Leihgaben – darunter Erinnerungsstücke des Pfingstbräutigams Franz Oexlers –, Bücher zum Thema und eine Kondensmilchdose aus einem Carepaket machten Geschichte greifbar.

Das Schuljahr im Blick