Vorlesekunst im Lesarium
Bürgermeister Markus Hofmann las wie jedes Jahr anlässlich des bundesweiten Vorlesetags den Fünftklässlern des BSG in der Leserbücherei der Schule eine schöne Geschichte vor
„Die vier kunstreichen Brüder“ von den Gebrüdern Grimm war heuer die Vorlesegeschichte. Kurzgesagt geht es darum: Jeder der vier Brüder kann etwas Besonderes, der eine vermag mithilfe seines Fernrohrs sehr weit und sehr genau zu sehen, der andere kann sehr gut Dinge entwenden, der dritte ist ein perfekter Schütze und der vierte kann alles, was entzwei gegangen ist, wieder zusammennähen. Am Ende retten die vier Brüder mit ihrer Kunst eine Prinzessin davor, von einem Drachen gefressen zu werden, und der König bietet dem Besten von ihnen die Dame zur Ehepartnerin an. Damit aber kein Streit entsteht, verzichten sie darauf, Prinz und König zu werden, und leben prinzessinnenlos glücklich bis an ihr Lebensende. Die Prinzessin hatte ohnehin schon jemanden, der ihr gefiel.
Der Herr Bürgermeister las wieder so kunstreich vor, dass alle Schüler ganz gebannt der Geschichte lauschten. Aber was die Moral von dem Märchen war, ließ sich nicht so leicht ermitteln. Vielleicht dass Prinzessinnen überschätzt sind? Oder aus der Mode? Das wurde zumindest vermutet. Oder dass es von Vorteil ist im Leben, etwas gut zu können. Und da waren wir sogleich beim Thema Kunst, heute würde man wohl Kompetenz sagen. Das Vorlesen ist, der Herr Bürgermeister hat es uns eindrucksvoll bewiesen, ganz sicher eine sehr könnenswerte Kompetenz, vielleicht auch eine, die manchmal unterschätzt wird so wie das Nähen, das Zuhören oder auch das Auf-Prinzessinnen-Verzichten. Vielfach stellt sich auch die Frage, ob angesichts der digitalen Kompetenzen, die wir heute können müssen, anderes denn gar nicht mehr gekonnt werden muss … selbst das Vorlesen könnte ja schon der Computer übernehmen (ob genauso gut, ist natürlich auch so eine Frage). Und dennoch wurde im Nachgang der Geschichte schon auch klar, dass es wohl darum geht: Jeder, der was kann, wird absolut gebraucht. Und gekonnt werden kann vieles (es muss ja vielleicht nicht gleich das Entwenden von Dingen sein). Und dass man das Können lernen kann, durch Begabung, aber auch durch Beharrlichkeit, ist natürlich der absolute Kerninhalt einer jeden Schule. „Kunst kommt von Können, nicht von wollen, sonst würde es ja Wunst heißen“, sagt Karl Valentin. Und damit aus Wünstlern Künstler werden, braucht’s halt auch ein wenig Übung … und manchmal gerne auch ein wenig mehr davon. Am Ende winkt dann als Preis eine Prinzessin, ein Schatz oder, moderner gesprochen, eine starke Persönlichkeit, die auch ohne Königreich reich ist. Vielleicht ist das die Moral von der Geschicht. Wie dem auch sei, der Herr Bürgermeister darf nächstes Jahr gerne wieder etwas vorlesen, haben die Kinder gesagt.
(Ulrich Effenhauser)